Date: Tue, 12 Sep 2000 11:14:26 +0200 From: redaktion@vov.de subject: vov-newsletter 20000912-87 ICANN-Vorwahlen: In Europa ist die Demokratie noch in Ordnung Bei den Vorwahlen zu den ICANN-Direktoren wurden zwei Deutsche nominiert. Es zeigt sich, dass die Online-Demokratie vor allen in Europa gut ankommt. von Iliya Nickelt Über einen Monat hatten die ICANN-Mitglieder Zeit, einen der selbstnominierten Kandidaten mit ihrer Stimme zu unterstützen und ihn so gegen die vom Nominierungskomitee ausgesuchten Kandidaten in die Endrunde zu schicken. 74 Kandidaten hatten allein in Europa ihren Hut in den Ring geworfen und waren bis zum Ende dabeigeblieben, unter ihnen viele wenig ernstzunehmende Kandidaten, aber auch eine Reihe chancenreicher Experten. Auch in den meisten anderen der fünf Regionen gingen Diskussionen über und mit den Kandidaten hoch her, über Webseiten und Mailinglisten. Am Ende blieb in Europa nur Platz für zwei deutsche Kandidaten, deren Sieg sich abgezeichnet hatte: Andy Müller-Maguhn, der Sprecher des Chaos Computer Club und Jeanette Hoffmann vom Wissenschaftszentrum Berlin. Eigentlich hatten sogar vier Kandidaten die Hürde von zwei Prozent der Stimmen aller aktivierten Mitglieder übersprungen, aber Lutz Donnerhacke und Dimitri Bourkov aus Russland wurden Opfer der Beschränkung auf m! aximal sieben Kandidaten in der Endrunde. Da das Nominierungskomitee ausgerechnet für Europa fünf von sieben Kandidaten nicht wählen ließ, sondern von vorheherein vorgegeben hatte - damit ist in Europa der Anteil der frei nominierten Kandidaten so gering wie in keiner anderen Region - kamen die beiden nicht zum Zuge. In allen anderen Regionen gab es kein Problem: In Nordamerika (USA und Kanada) wurden drei von drei möglichen Plätzen belegt, überall sonst blieben noch Plätze frei. Dies ist überhaupt das deutliche Ergebnis dieser Vorwahlen: Die aktivsten Mitglieder hat zur Zeit Europa. Asien stellt 60% der angemeldeten oder aktivierten Benutzer, nach einem von nationalen Argumenten geprägten Wettlauf zwischen Japan, China und Korea. Bei den Vorwahlen haben sich aber nur wenige beteiligt: 29% der insgesamt abgegebenen 17401 Unterstützungs-Stimmen kommen aus Asien, 12% aus Nordamerika, dafür aber 52% aus Europa. Neben Südamerika mit 6% bildet Afrika mit gerade mal vier Promille aller Stimmen das traurige Schlusslicht. Somit wurde immerhin ein Viertel aller europäischen Internetnutzer, die sich am Anfang als Wähler haben registrieren lassen, bereits bei den Vorwahlen aktiv, was zeigt, dass hier eine aktive Netzgemeinschaft regen Anteil an der Wahl nimmt. Umso schwerer dürfte der Stand für die reinen Industrievertreter werden, denn anders kann man drei der Kandidaten nicht bezeichnen, die über das Nominierungskomitee sozusagen per Express in die Endrunde geschickt wurden. Sie haben sich auch bisher wenig an den Diskussionen mit den Wählern beteiligt, im Gegensatz z. B. zum Norweger Komitee-Kandidaten Alf Hansen, der auch durch seinen akademischen Hintergrund einige Sympathien sammeln dürfte. Dem Deutschen Manager Winfried Schüller, könnte sein Arbeitgeber Telekom schnell zum Verhängnis werden: Von "postzugelassenen" Modems bis zur Ausschöpfung jeder erdenklichen bürokratischen Lücke um die Call-By-Call-Konkurrenten zu schwächen - die Telekom hat eigentlich noch nie die Interessen der Nutzer! vertreten. Der entscheidende Wahlkampf dürfte zwischen Jeanette Hofmann und Andy Müller-Maguhn ausgetragen werden, die sich vor allem in der Herkunft unterscheiden: Hofmann als Politikwissenschaftlerin steht sich vor allem für ein offenes Internet auch für alle die, die die Technik nicht begreifen, während Müller-Maguhn aus der Hackerszene stammt. Energisch für die Nutzerinteressen eintreten würden am Ende sicher beide. Interessierte und vor allem registrierte Wähler haben jetzt bis zum Anfang der eigentlichen Wahl am 1.10 Zeit, sich mit den Kandidaten vertraut zu machen. Dazu dient ein Webforum mit Fragen der Wähler und Antworten der Kandidaten: Unter http://members.icann.org/qa.html kann man dann die Positionen vergleichen. Neben der widerrufbaren Stimme -bei der Vorwahl konnte man seine Stimme bis zuletzt immer wieder neu vergeben oder ganz zurückziehen- ist das ein weitere interessante Entwicklung, die die Neuartigkeit dieser ersten weltweiten Internetwahl zeigt. Vielleicht kann sich die Demokratie unserer tradierten politischen und staatlichen Institutionen von dieser Vorgehensweise ja die eine oder andere Scheibe abschneiden... ******************************************************** Sie haben den VOV-Newsletter abonniert weitere News unter http://www.vov-newsletter.de Wollen Sie sich abmelden? Einfach mit Name und E-Mail online abmelden unter http://www.vov-newsletter.de Hinweise an die Redaktion bitte an: redaktion@vov.de ********************************************************